Imperien im Wettstreit

Imperien im WettstreitVON HERFRIED MÜNKLER
Der große britische Historiker und Geschichtsphilosoph Arnold Toynbee schrieb erst sein großes Werk über den Gang der Weltgeschichte und trat danach eine Weltreise an, in deren Verlauf er all jene Regionen in Augenschein nahm, deren Geschichte er be-schrieben und deren Zukunft er prognostiziert hatte. Der indischstämmige amerikanische Politikwissenschaftler und Strategieberater Parag Khanna hat die umgekehrte Reihenfolge vorgezogen: Er hat zunächst über mehrere Jahre die verschiedenen Weltgegenden bereist und anschließend darüber ein Buch geschrieben, das sich keineswegs nur als eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation versteht, sondern auch einen Ausblick auf die politische Zukunft des Globus gibt.


Die Alternative, die Khanna aufmacht, lautet: geopolitische Blöcke oder weitere Globalisierung. Unter Globalisierung versteht er die voranschreitende wirtschaftliche Verflechtung zwischen den USA, der Europäischen Union und China, die dazu führen werde, dass man mehr an Kooperation als an Konfrontation interessiert sei. Dem steht eine geopolitische Hemisphärenbildung gegenüber, bei der die USA den amerikanischen Kontinent kontrollieren und wirtschaftsprotektionistisch absichern, die Europäer dasselbe tun mit Europa sowie Teilen Afrikas und dem vorderen Orient, während sich die Chinesen auf Ostasien konzentrieren. Das könnte durchaus in eine friedliche Koexistenz münden, wenn es nicht jene Zwischenräume gäbe, über deren wirtschaftliche und politische Zugehörigkeiten zu einer imperialen Zone sich immer wieder Auseinandersetzungen entwickeln. Diese zweite Welt, wie Khanna die wichtigeren der in diesen Zwischenräumen beheimateten Staaten nennt, werden den Ausschlag geben bei der Gewichtverteilung zwischen den großen imperialen Zentren, und der Kampf um sie ist, wie er bei seinen Reisen beobachtet hat, längst entbrannt.
Es mag manchen Europäer erstaunen - aber für Khanna ist die EU neben den USA und dem weiter aufstrebenden China ein imperialer Akteur. Mehr noch: Khanna sieht in Europa ein ausgesprochen erfolgreiches Modell imperialer Integration, da es nicht mit den Mitteln militärischer Gewalt expandiert, sondern über ökonomische Attraktion und durch die Ausbreitung eines einheitlichen Rechts. Durchaus skeptisch beurteilt er dagegen die starke Neigung der USA, auf den Gebrauch militärischer Mittel zu setzen. Die USA haben auf diese Weise in den letzten Jahren viel an politischer Macht eingebüßt, was letzten Endes Europa und China zugute gekommen ist. Noch, das betont auch Khanna, ist China weit davon entfernt, mit Europa und den USA auf Augenhöhe zu agieren, aber er geht davon aus, dass sich das bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts ändern wird.
Die imperiale Ordnung, die Khanna für das 21. Jahrhundert zu erkennen glaubt, ist also nicht durch die klassische Kombination von Kaufleuten, Siedlern und Militär geprägt, sondern es hat sich ein Markt gebildet, auf dem die drei Imperien ihre Ordnungsmodelle ausstellen und um Anhängerschaft werben. Die USA setzen, so Khannas Kurzcharakterisierung, auf Koalitionen, die Europäer auf Konsens und die Chinesen auf Konsultation. Und die Akteure der Zweiten Welt, zu denen neben Japan, Russland, Indien auch Lateinamerika und Teile der islamischen Welt gehören, haben die Möglichkeit, dazwischen zu wählen. Khannas Prognose ist, dass die USA ihre gegenwärtige Position nicht halten können.
Aber auch China und die Europäer haben Schwächen, die es fraglich erscheinen lassen, ob sie die Nachfolge der USA als globaler Akteur antreten können. Die Aufholjagd der Chinesen hat soziale Verwerfungen und ökologische Katastrophen hinterlassen, zu deren Bearbeitung viel Kraft erforderlich sein wird, die von der nach außen gewandten Dynamik abgeht. Und bei den Europäern fehlt der Wille dazu, noch einmal eine weltpolitisch bestimmende Rolle zu spielen. Man habe sich daran gewöhnt, im Schlepptau der USA zu agieren. Und außerdem wolle man den Wohlstand genießen und sich nicht in riskante Verantwortlichkeiten hineinziehen lassen. Der Lackmustest in dieser Frage ist für Khanna die Einbeziehung der Türkei und der Ukraine in die politisch-wirtschaftliche Ordnung Europas.
Imperien müssen expandieren, wenn sie sich halten wollen; sobald sie stagnieren, befinden sie sich auf dem absteigenden Ast. Diese Grundauffassung Khannas ist die Folge seiner geschichtstheoretischen Gefolgschaft gegenüber der Zyklentheorie Toynbees. Die machtpolitischen Verhältnisse sind ständig in Bewegung, und wer nicht steigt, fällt zwangsläufig zurück. Der Blick auf die Geschichte der Imperiumsbildungen ist geeignet, die Skepsis gegenüber dieser Grundannahme Khannas zu speisen. Fast alle Imperien haben, wenn sie nicht ausschließlich durch militärische Expansion zustande gekommen sind, eine Prosperitätsperiode durchlaufen, bevor dann die Zeit des Niedergangs begann.
Diese lange Bestandsperiode, so würde Khanna vermutlich einwenden, könne es unter den Bedingungen globaler Konkurrenz nicht mehr geben, und deswegen werde auch permanent um Anhängerschaft in der Zweiten Welt gekämpft. Man könnte das Agieren der Chinesen in Afrika, im Sudan etwa, als Bestätigung dafür ansehen, ebenso wie den Umstand, dass sich die USA permanent herausgefordert fühlen. Aber es könnte auch sein, dass die zurückhaltende Politik der Europäer, die zwar durchaus auf ihre Peripherie Einfluss nehmen, aber das eher zurückhaltend und konsensorientiert tun, sich zuletzt als erfolgreicher erweist. Schließlich geht es ja darum, wie Khanna meint, das Vertrauen derer zu gewinnen, die durch ihre politische Präferenzbildung das weltpolitische Gefüge verändern.
Khannas Buch ist jedoch nur in Teilen eine Reflexion auf die weltpolitische Ordnung des 21. Jahrhunderts. Über weite Strecken berichtet er in überaus anschaulicher Form von seinen Reisen und Aufenthalten zwischen Balkan und Kaukasus, in Zentralasien und Lateinamerika, im Mittleren Osten und schließlich in Südostasien. Beobachtung und Reflexion gehen dabei eine attraktive Verbindung ein. Man muss nicht alle Thesen Khannas teilen, um sein Buch mit Gewinn zu lesen.
Parag Khanna:
Der Kampf um die zweite Welt.
Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt,
Berlin Verlag 2008, 623 S., 26 Euro.

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