In 20 Jahren sehen die USA aus wie Deutschland

Cicero |

Parag Khanna analysiert die internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert. Wie Barack Obamas Wahl zum US-Präsidenten dieses Geflecht verändern wird, ist Teil seiner Untersuchungen. Im Interview mit Cicero Online spricht Khanna über Amerikas Hoffnungsträger, die US-Außenpolitik nach George W. Bush, die Wirtschaftskrise und das Verhältnis zu Europa.

Parag Khanna, sind die USA mit der Wahl Barack Obamas in eine neue Ära eingetreten oder bleibt alles so, wie es war?
Weder noch. Es trägt dazu bei, dass er gewählt wurde. Aber es muss noch nachgewiesen werden, ob eine neue Ära anfängt und was für eine es wird. Es ist noch nicht klar, ob die Inhalte seines Wahlkampfes genau so durchgesetzt werden können, wie das erklärt wurde. Es gibt immer Kompromisse, die man schließen muss. Es ist aber in jedem Fall ein Schritt in die richtige Richtung.
Noam Chomsky hat gesagt, die USA haben immer schon dieselbe Art von Außenpolitik gemacht, egal ob die Republikaner oder die Demokraten an der Macht waren, und zwar nach dem Prinzip "Wir zuerst, und dann der Rest". Hat er damit Recht?
Das schon. Im extremen Fall wird es eben nicht in die andere Richtung gehen: "Weltgesellschaft zuerst und Amerika an zweiter Stelle". So weit wird es nicht sofort gehen. Amerika kann aber wieder zu dem Aufbau dieser Weltgesellschaft beitragen. Dass Amerika zuerst kommt, sieht man schon noch. Zum Beispiel haben die Drohnen-Angriffe in Pakistan zugenommen in letzter Zeit. So ein bisschen nach dem Motto: Wir machen, was wir wollen. Andersherum hat Obama in den ersten vier Wochen versucht, acht Jahre Bush-Politik einzudämmen. Jetzt gibt es plötzlich Diplomatie mit Kuba, Nordkorea, Syrien, Iran und so weiter. Das ist schon ein Riesen-Schritt. Diplomatie heißt für mich, respektvoll mit anderen Ländern umzugehen.
Man beobachtet momentan, dass die Schuldenblase in der Krise mit neuen Schulden bekämpft wird. Durch die Abwertung des Dollars werden auch andere Länder betroffen. Wird das die Vereinigten Staaten nicht auf Dauer beschädigen?
Auf jeden Fall. Es gibt keine Strategie, da herauszukommen. Die Gesamtverschuldung steigt jedes Jahr auf beschleunigter Basis. Und jetzt immer mehr mit dem Stimulierungsplan. Es gibt keinen Ausweg.
Die Amerikaner nehmen die Abwertung des Dollars bewusst in Kauf. Wäre die Alternative ein Kapitalschnitt, so dass alle bei null anfangen und die Schulden weg sind?
Wir sehen zurzeit nur den ersten Schritt, der schnell gegangen werden musste. Es ist bislang nur die Hälfte zurückgelegt worden. Henry Paulson hat immer gesagt, dass wir eine Politik des starken Dollars betreiben. Das hat er aber nie gemacht. Also Absicht ist das schon gewesen. Durch die Inflation kann man aber das Problem nicht lösen. Der zweite Schritt ist noch nicht einmal gedacht worden.
In Afghanistan und in Guantanamo wollen die Amerikaner, dass die Europäer helfen, die Sauerei aufzuräumen. Sollen die Europäer das wirklich machen?
Aufräumen heißt nicht nur, mehr Truppen zu schicken. Sondern auf gemeinsame Art und Weise zum Wiederaufbau beizutragen. Das halte ich für sinnvoll. Mehr Truppen zu schicken, ist sowieso nicht genehmigt worden. 68.000 Amerikaner werden endgültig da sein und nur 20.000 Truppen der Europäer. Ein Riesen-Unterschied - in der Hinwendung zu Truppen, nicht in dem Einsatz für Afghanistan. Mehr Truppen zu schicken, heißt nicht mehr Hinwendung zu haben. So eine Beurteilung muss auf einer Strategie basieren und ob das gelungen ist oder nicht. Unser einziger Beleg ist, dass mehr Truppen nicht zu mehr Sicherheit geführt haben. Die Europäer können im zivilen Bereich, im Wiederaufbau des Staates einen Beitrag leisten durch die Expertise aus der Balkan-Erfahrung. Diese Hilfe aus Europa kann enorm helfen.
Und die Guantanamo-Häftlinge?
Das wird aus der Sicht der jeweiligen Regierung von Fall zu Fall behandelt. Es gibt Angebote aus Albanien, aus Portugal, aus Venezuela, Häftlinge aufzunehmen. Irgendwann werden die alle irgendwohin geschickt worden sein. Dann ist die Geschichte wirklich zu Ende.
Betrachten wir einmal die global map: Wie werden denn die Kräfteverhältnisse sein zwischen China, Russland, Indien, den arabischen Ländern, den USA und Europa?
Das ist auf jeden Fall Multipolarität gemischt mit einer strukturellen Unsicherheit, in der man nicht weiß, wie stark die jeweiligen Großmächte sind. Es zeichnet sich aber auch ab, dass es sehr viele nicht-staatliche Akteure gibt, also Terroristen, international agierende Unternehmen und so weiter. Also es ist multipolar und dadurch fast wie im Mitteljahr.
Was heißt das genau?
Dass es eine Vielzahl an Akteuren gibt, die tätig auf diesem Niveau sind.
Also dass es keine zwei Supermächte gibt, sondern ein großes Heer an gleichrangigen Akteuren.
Die müssen auch nicht gleichrangig sein, die können sehr ungleich sein. Aber die existieren in diesem gemeinsamen Umfeld und haben jeweils nach bestimmten Verhältnissen verschiedenartige Hebelkräfte.
Sehen Sie auch stabilisierende Kräfte?
Eher nicht. Es gibt keine wirklichen Regeln, die eingehalten werden. Es muss neue Regeln geben.
Huntington hat gesagt, dass die Basis der Konflikte im 21. Jahrhundert religiös ist. Ist das richtig oder geht es nicht vielmehr um die Konflikte um Wasser und saubere Luft?
Beides. Er hat immer von globalen tektonischen Bewegungen gesprochen. Ich sehe das ganz anders. Politische Einheiten sind nicht durch Regionen zu unterscheiden, sondern durch die imperiale Annäherung. Die Europäische Union umfasst ja fast schon Nordafrika und die Türkei. Also hat man schon ein multikulturelles Reich. China ist auch schon multikulturell aufgebaut und die USA auch. Insofern sind Reiche größer als die Zivilisationen oder die Kulturkreise, wie Huntington sagen würde. Das ist die größte Lücke in seiner These.
Wird Barack Obama die hohen Erwartungen, die an ihn gestellt werden, überhaupt erfüllen können?
In der Innenpolitik vielleicht schon, weil die Neuorientierung der Gesellschaft auf Sparen, Realwirtschaft, Infrastruktur, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit Substanz hat. In 20 Jahren dürften die USA so aussehen wie Frankreich oder Deutschland. Die USA sind eigentlich ein Zweite-Welt-Land von den Lebensstandards her. In der Außenpolitik wahrscheinlich nicht. Die Einzelinteressen in der Welt sind so zerstreut, dass Obama das nicht unter der Hegemonie der USA bündeln kann. Es wird erwartet, dass die USA eine Führungsrolle in der Welt übernehmen. Das ist aber unmöglich.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Alexander Görlach.

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