By Parag Khanna
Klimaschutz hat bei den Amerikanern keine Top-Priorität. Europa sollte nicht auf die Klimaschutz-Nachzügler warten - sondern vorangehen.
In der Theorie ist sich der Westen einig, aber die Praxis ist eine andere Sache. Präsident Obama hört sich stets sehr europäisch an, wenn er ernsthafte Kontrollen sowie eine Regulierung der Kohlendioxid-Emissionen in der US-Industrie verlangt. Zu seinen wichtigsten Themen im Wahlkampf gehörte der langfristige Umbau der konventionellen Wirtschaft zu einer grünen. Aber vielleicht ist das Schicksal von Van Jones, Obamas Umweltberater, eine geeignete Metapher, um die amerikanische Politik von heute zu beschreiben. Jones, ein anerkannt erfolgreicher Umweltaktivist aus San Francisco, hatte gerade im Weißen Haus angefangen, da zitierten Republikaner aus Aufrufen, die er vor einigen Jahren mal unterschrieben hatte. Darin verlangte Jones eine Untersuchung, ob US-Offizielle möglicherweise vor dem 11. September 2001 von den Terrorangriffen wussten. Jones wurde zum Rücktritt gezwungen. Unterschiedliche Psychologie in Amerika und Europa Theoretisch möchte Amerika unter Obama den Weg der Nachhaltigkeit weiter fortsetzen. Realität jedoch ist, dass den Amerikanern ein Abkommen in Kopenhagen nur wenig mehr bedeutet als das von Kyoto - welches Amerika ja niemals ratifiziert hat. Die unterschiedliche Psychologie in Amerika und Europa lässt sich am besten mit einem Blick auf die Prioritäten erklären. Während die europäischen Staaten hoch verschuldet sind, verfügen sie zumindest über eine solide Infrastruktur und ein allgemeines Gesundheitswesen. In Amerika dagegen tobt gerade eine leidenschaftliche Debatte, ob demjenigen Viertel der Bevölkerung, das bisher überhaupt keine Gesundheitsversorgung hat, eine solche nun zur Verfügung gestellt werden soll - während sich das Land zugleich mit einer in großem Umfang verfallenden Infrastruktur plagt. In solch einem Umfeld hat Klimawandel einfach keine Top-Priorität. Umweltbedrohungen nicht im Bewusstsein verankert Amerikaner leben im Heute: Ein paar Monate ist es erst her, dass ihre Sparquote zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder oberhalb von null lag. Und der Klimawandel gilt hier als eine Herausforderung von morgen. Warum einen Aufschlag auf Treibstoff - die ruchlose Benzinsteuer -, obwohl der Welt das Öl doch noch lange nicht ausgeht? Eine Nation von Pionieren, die immer von allem mehr als genug hatte und der es immer noch an landesweiten Vorschriften für so grundlegende Dinge wie Recycling mangelt - eine solche Nation ist vielleicht die letzte, die eine Bedrohung wie den Klimawandel im allgemeinen Bewusstsein verankert. Nach Meinung vieler Europäer wird die Klimakonferenz in Kopenhagen das wichtigste Gipfeltreffen in der Geschichte der Menschheit sein - aber dort wird es die Weltgemeinschaft sein, die scheitert, nicht bloß Amerika. Man erinnere sich, wie der indische Umweltminister Jairam Ramesh während seines Besuchs in Washington im September unverblümt erklärte, in Kopenhagen keine Wunder zu erwarten. Ja, er hat sogar betont, ein Schwellenland wie Indien werde zumindest bis zum Jahr 2020 keine Maßnahmen ergreifen, die das Wirtschaftswachstum bremsen würden. Bereits beim Kyoto-Protokoll machten Länder wie Brasilien, Indien und China nicht mit. Das Problem ist: In Kopenhagen wird es jedoch auf genau diese Länder ankommen. Die Emissionsmengen dieser aufstrebenden Länder erreichen inzwischen westliches Niveau. Nicht auf Klimaschutz-Nachzügler warten Kann man jetzt anhand des Prinzips "Der Verschmutzer zahlt" moralisieren oder aber vom Westen eine Art historischen Schadenersatz verlangen? Wer das versucht, der macht aus Kopenhagen nur eine Umweltversion der UN-Anti-Rassismus-Konferenz (die von mehreren Ländern für antisemitische Anstöße missbraucht wurde). Vor diesem Hintergrund verblüfft weniger die uninspirierte Herangehensweise Amerikas an das Thema, als vielmehr die Frage, warum eigentlich hier jedes Land auf der Welt auf Amerikas Führung wartet. Der Punkt dabei ist nicht, dass der Beitrag, den Amerika zum Emissionsabbau leistet, global gesehen, entscheidend sein wird. Das ist unbestritten. Doch sollte der Rest der Welt bitte keine Zeit verlieren, sondern vorangehen. Zugegeben, die Europäische Union tat dies vor Jahren schon einmal, indem sie trotz der amerikanischen Schwafeleien eigene Regulierungen nach dem Kyoto-Prinzip einführte. Es ist in der Klimakrise ähnlich wie bei der Finanzkrise: Niemand sollte erwarten, dass ausgerechnet der Chefarchitekt des Desasters die global wirkende Arznei bereitstellt. Vielleicht können die Unterschiede zwischen Amerika und Europa ja auch eine Quelle der Stärke sein. US-Firmen legen weniger Wert auf staatliche Anreize, umweltfreundlich zu produzieren (das ist eher der europäische Ansatz) - dafür aber umso mehr auf Anreize des Marktes, saubere Technologien einzuführen. Daran arbeiten sie, jede Firma für sich. Ein Netz von Aufladestationen Ein schönes Beispiel dafür ist das Unternehmen "Better Place" des früheren SAP-Managers Shai Agassi: Seine Batterie-Innovationen tragen dazu bei, Elektroautos in Kalifornien populär zu machen (einem Bundesstaat, der, für sich genommen, zu den zehn größten Volkswirtschaften der Welt gehört). Eine solche Firma hat natürlich ein wachsendes Interesse daran, entlang der Autobahnen ein Netz von Aufladestationen hochzuziehen. Darüber hinaus gibt es gemeinnützige Organisationen wie die "Joint US-China Cooperation on Clean Energy" - eine Initiative, bei der mehr passiert, als es in Kopenhagen je der Fall sein wird. Jeden Monat bringt sie Dutzende amerikanische Firmen nach China, wo deren Manager dann Bezirks-Gouverneure und Bürgermeister treffen. Mit denen arbeiten sie daran, Chinas Ausstoß an Kohlendioxid zu reduzieren, und dies jeweils um die Emissionsmengen einer Mega-Stadt. Und US-Firmen wie Cisco und IBM sind weltweit an Stadtplanungen beteiligt, von Hamburg bis Bangalore. Blick auf die Substanz von Innovationen Letztlich werden diese Innovationen ihren Weg zurück auf den US-Markt finden. Auf diese Weise leisten sie einen großen Beitrag dazu, auch den US-Ausstoß zu reduzieren. Die Schlüsselerkenntnis sowohl für Amerikaner wie für Europäer wird dann sein, dass Klimawandel von unten mindestens genauso effizient bekämpft werden kann wie von oben. Kopenhagen wird kommen und gehen, wie Kyoto. Wir sollten den Blick viel stärker auf die Substanz von Innovationen richten, anstatt auf die Rhetorik irgendwelcher Deklarationen. Diese Lektion sollten sich alle Diplomaten und alle Unterhändler zu Herzen nehmen, ganz gleich, ob sie es mit dem Klimawandel, den Finanzmärkten, der Armut in Afrika oder irgendeiner anderen Herausforderung zu tun bekommen.